Die Selbstständigkeit – Eine Challenge für unsere Psyche
Die Selbstständigkeit – eine berufliche Freiheit, die es einem ermöglicht, sich selbst zu entfalten. Aber im Wort „Selbstständigkeit“ versteckt sich ebenso die nicht mehr ganz so attraktiv klingende Wortbedeutung „selbst“ und „ständig“ an sich und für den Beruf zu arbeiten. Welche Schwierigkeiten sich hinter dem freiheitsversprechenden Business verstecken und mit welchen Aspekten sich unsere Psyche dabei konfrontieren muss, darüber möchte ich in diesem Artikel einen Einblick geben.
Bevor wir in die Tiefe der menschlichen Psyche eintauchen und um Klarheit zu schaffen, warum ich mich genau diesem Thema hier widme, möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Mag. Marlene Fitzka, BA und ich bin Psychotherapeutin in Wien. Ich habe mich vor vier Jahren selbstständig gemacht, war zuallererst in unterschiedlichen Therapiezentren und Gemeinschaftspraxen tätig und habe mich im Juli 2023 schlussendlich dazu entschieden, meinen Lebenstraum zu erfüllen und meine eigene Praxis zu gründen. In dieser unterstütze ich Menschen mit akuten, psychischen Problemlagen und begleite sie auch beim Wunsch nach einer längerfristigen Persönlichkeitsentwicklung. Ich arbeite mit der tiefenpsychologischen Methode, genannt „Individualpsychologie“, was bedeutet, dass ich in der Arbeit mit den Patient:innen, dem Unbewussten eine große Bedeutung zuschreibe und den Blick nicht nur auf die Geschehnisse im Hier und Jetzt richte, sondern auch die Kindheit für die Bedeutung von unbewussten und bewussten Prozessen berücksichtige. Auf Basis meiner tiefenpsychologischen Sichtweise möchte ich daher auch in diesem Artikel mögliche unbewusste Bedeutungen der Selbstständigkeit miteinfließen lassen.
Das Gemeinschaftsgefühl als wichtiger Faktor für die psychische Gesundheit
In der Individualpsychologie ist das Agieren innerhalb einer Gemeinschaft, um zu einem gut funktionierenden Zusammenleben zu finden, eine zentrale Komponente für die psychische Gesundheit (vgl. Stephenson 2011, S. 71). Wenn ich mich mit weiteren Personen selbstständig mache, kann das Gemeinschaftsgefühl auch in beruflicher Hinsicht gelebt werden, durch den Austausch mit Kolleg:innen, mögliche Feedbackgespräche innerhalb des Teams und positiver Verstärkung und Ermutigung.
Wenn du dir nun die Frage stellst, ob es daher psychisch ungesund ist, wenn du alleine selbstständig bist – natürlich nicht. Wichtig ist nur, dass auch der Vernetzung mit anderen aus dem Selbstständigkeitsbereich Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ob es ein Coworken in einem netten Café ist oder eine Mitgliedschaft in einem Netzwerkclub oder aber auch der Austausch über soziale Medien, all dies trägt dazu bei, dass auch das Gemeinschaftsgefühl in Ein-Personen-Unternehmen gefördert werden kann.
In der Selbstständigkeit tauchen oftmals Selbstzweifel auf, man glaubt, den Job, den man eigentlich mit purer Leidenschaft und Liebe ausübt, nicht gut genug zu machen. Man fragt sich, ob man überhaupt die Berechtigung hat, die Dienstleistung auszuüben, kurz gesagt, ob man das überhaupt kann, worauf man sich spezialisiert hat oder ob man etwa doch nur ein „Imposter“ ist? Wenn Gedanken wie diese auftauchen, kann das Gemeinschaftsgefühl eine aufmunternde Rolle einnehmen und durch Ermutigung kann dem „Selbstzweiflungsstrudel“ wieder entflohen werden. Beim Austausch werdet Ihr nämlich bestimmt erkennen, dass Ihr nicht die einzigen seid, die gedankliche Selbstzweifel haben und dies schafft Erleichterung (ich spreche hier aus eigener Erfahrung ☺️).
Woher kommen meine Selbstzweifel und wie gehe ich damit um?
Doch was kann ich tun, wenn ich gerade nicht auf das Gemeinschaftsgefühl zurückgreifen kann? Wie gehe ich dann mit Selbstzweifeln um? In der therapeutischen Arbeit mit meinen Patient:innen fragen wir uns, was hinter den Selbstzweifeln liegt. Die Individualpsychologie geht davon aus, dass der Mensch im Zuge seiner als Kind erlebten Abhängigkeit von seinem Umfeld, Minderwertigkeiten entwickelt, die er versucht, zu kompensieren (vgl. Rieken 2011, S. 56). Auch Selbstzweifel können Ausdruck einer im Unbewussten gefühlten Minderwertigkeit sein und es wäre für den weiteren Verlauf der beruflichen Tätigkeit von Bedeutung, sich zu hinterfragen, worauf die Minderwertigkeit zurückzuführen ist. Denn wenn ein Verständnis dafür da ist, wieso ich in gewissen Situationen auf eine bestimmte Art und Weise reagiere, kann ich leichter damit umgehen und meinen Umgang mit der Situation auch verändern.
Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Psyche ist wesentlich für eine gesunde Entwicklung. Wenn ich allerdings akut unter meinen Selbstzweifeln leide, kann es anfänglich nützlich sein, sich folgende Fragen zu stellen:
Warum bin ich dort gelandet, wo ich jetzt bin? Was habe ich dafür gemacht? Warum darf ich mir gerade nicht den Wert zuschreiben, dass ich meinen Beruf gut mache? Was nützen mir die Selbstzweifel? Was wäre, wenn die Selbstzweifel verschwunden sind? Warum glaube ich, dass es andere mehr verdienen – was machen sie anders als ich?
Diese Fragen dienen der ersten Auseinandersetzung. Wenn die Selbstzweifel allerdings zu einem täglichen Begleiter werden, sollte sich intensiver, in einem therapeutischen Setting, damit auseinandergesetzt werden, denn Zweifel hindern uns daran, zu einem befreiten und glücklichen Leben zu finden.
Ich wirtschafte in meine eigene Tasche. Ist doch super – oder?
Selbstständig zu sein hat immens viele Vorteile – ich kann arbeiten wann, wo und wie ich möchte. Das sind Freiheitsgefühle, denen ein Job im Angestelltenverhältnis nicht nachkommt. Aber was ist mit dem Druck, möglicherweise kein monatliches Fixeinkommen zu haben? Was ist mit der Sorge, wenn ich in Krankenstand gehen sollte, aber dann kein Einkommen generieren kann? Wofür entscheide ich mich – Urlaub oder Geld?
Es wird ersichtlich, dass der finanzielle Aspekt in der Selbstständigkeit zu einem psychischen Belastungsfaktor werden kann, der in einem Angestelltenverhältnis (Krankenstand, 13., 14. Gehalt und weiteres) eher in den Hintergrund rückt. Wichtig ist hierbei, dass man sich vor Beginn der Selbstständigkeit hinterfragt, ob man mit gewissen finanziellen Unsicherheiten leben und umgehen kann oder ob doch eine finanzielle Absicherung mehr Ruhe im Leben erzeugen würde.
Erkenne deine Grenzen – leichter gesagt als getan
Abschließend möchte ich noch auf ein wesentliches Thema eingehen, mit welchem auch ich am Beginn meiner Selbstständigkeit erst umgehen lernen musste, nämlich mit dem Aspekt der Grenzziehung. Die Selbstständigkeit sollte nicht zu einem Zustand werden, in dem man „ständig“ und „selbst“ arbeitet. Denn wir sind alle Menschen und keine Roboter und haben somit unsere emotionalen und zeitlichen Ressourcen. Wenn diese ausgeschöpft sind, dann haben wir unsere Grenzen erreicht. Doch dann kommt wieder eine Anfrage, ein Angebot oder ähnliches rein – die Verlockung ist groß. Es würde mich ja doch sehr interessieren, mit dieser Person zusammenzuarbeiten, doch eigentlich habe ich dafür keine Kapazitäten mehr? Was mache ich nun? Es ist wichtig, sich bewusst zu werden, dass oft eine Anfrage mehr, genau das ist, was uns anschließend zu viel ist. Dann habe weder ich was davon, denn ich befinde mich an meiner psychischen Belastungsgrenze, noch potenzielle Kund:innen, weil die Qualität bei Überlastung oft nicht gehalten werden kann. Doch ist es anfänglich gar nicht einfach, die eigenen Grenzen zu erkennen. Wichtig ist hierbei, dass man auch dem eigenen körperlichen Empfinden Beachtung schenkt, denn möglicherweise schickt uns der Körper schon Warnsymptome, dass uns etwas zu viel wird!?
Gedanken zum Schluss
Das Thema dieses Artikels ist durch diesen noch lange nicht abgeschlossen. Vielmehr soll er einen ersten Einblick geben, womit sich unsere Psyche auf bewusster und unbewusster Ebene in der Selbstständigkeit auseinandersetzt.
Wichtig ist, dass du dich in deinem Dasein selbst beobachtest und solltest du bemerken, dass du in einem Lebensthema gedanklich nicht weiterkommst oder du erkennst, dass Gefühle in der Selbstständigkeit auftauchen, die dich daran hindern, dass du erfüllt durchs Leben gehen kannst, dann wäre dies der Anlass sich therapeutische Unterstützung zu holen.
Quelle:
Rieken, Bernd. 2011. Das Minderwertigkeitsgefühl und seine Kompensation; Wirk- und Zielursache, Fiktionalismus. In Bernd Rieken, Brigitte Sindelar und Thomas Stephenson, Psychoanalytische Individualpsychologie in Theorie und Praxis. Psychotherapie, Pädagogik, Gesellschaft, 55-64. Wien: Springer.
Stephenson, Thomas. 2011. Individualität und Gemeinschaft: Gemeinschaftsgefühl als Bindeglied. In Bernd Rieken, Brigitte Sindelar und Thomas Stephenson, Psychoanalytische Individualpsychologie in Theorie und Praxis. Psychotherapie, Pädagogik, Gesellschaft. Wien: Springer, S. 71-72.
Seit Covid ist es möglich, Psychotherapie auch im Online Setting anzubieten.
Deshalb freue ich mich sehr, dass ich meine Patient:innen daher auch bei Auslandssemestern, längeren Reisen oder aber auch im digitalen Nomadenleben begleiten darf.
Also, wenn ich Dich auf deiner neuen Reise in die Selbstständigkeit begleiten soll, kannst Du sehr gerne mit mir Kontakt aufnehmen – ganz gleich, wo Du dich gerade auf der Welt befindest
Hast du noch Fragen oder Anmerkungen zum Artikel, lass uns gerne einen Kommentar hier. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir.