Jenseits der Uni: Eine Jungunternehmerin erzählt, warum akademische Bildung nicht jedermanns Weg ist
„Freut mich, dich kennenzulernen, was machst du denn beruflich?“ ist eine Frage, die wir doch relativ häufig gestellt bekommen, wenn wir eine neue Person in unserem Bekannten- oder Freundeskreis oder auf Networking-Events kennenlernen. Ich halte mich bei der Antwort auf diese Frage oft recht kurz („Ich bin selbstständig, und du?“), da ich weiß, was darauf folgt: weitere Fragen an mich – und schließlich eine Rechtfertigung meinerseits.
Warum Rechtfertigung, fragt ihr euch jetzt vielleicht? Die zweite Frage, die immer (!) folgt, ist: „Ah, was machst du dann?“, worauf ich antworte: „Ich bin Fotografin und habe außerdem creatives who, eine Community für junge Menschen in der Kreativbranche, gegründet.“ Und dann startet bald das Rechtfertigen. Die Frage, die mir nämlich von so ziemlich allen Personen, die nicht selbstständig sind, gestellt wird, ist: „Und du studierst das doch sicher auch, oder?“ Und dann geht es los.
Ich bin 21. Und selbstständig. Und nein, ich studiere nicht. Kleiner Plottwist direkt am Anfang: Ich studiere überhaupt nicht. Und ich habe auch nicht vor, in nächster Zeit ein Studium anzufangen. Ich habe mich direkt bereits während meiner schulischen Ausbildung mit 18 selbstständig gemacht und mich entgegen allen Erwartungen nach der Matura gegen ein Studium und für meine Vollzeitselbstständigkeit entschieden.
Der Grund, warum es mir oft unangenehm ist, zu erzählen, was ich mache, ist, weil ich es so satthabe, mich dafür zu rechtfertigen, entgegen gesellschaftlichen Erwartungen nach meinem Abschluss nicht zu studieren. Ich bin 21, ich habe nicht studiert und ich bin seit knapp über 3 Jahren erfolgreich selbstständig. Ich bin einerseits Fotografin, spezialisiert auf Branding Photography für Unternehmer:innen, und habe außerdem, nachdem ich festgestellt habe, wie einsam und von Konkurrenz geprägt die Kreativbranche ist, eine Community für junge kreative Köpfe im DACH-Raum gegründet. Außerdem bin ich seit Anfang Februar Host meines Podcasts „creatives who talk“, der innerhalb der ersten zwei Wochen mehrmals in den österreichischen Podcastcharts war. Die Fähigkeit, sich in ein Thema vertiefen zu können, sich ständig weiterzuentwickeln und Herausforderungen mit Entschlossenheit anzugehen, sind für mich sehr viel entscheidender gewesen als ein Studium, ja selbst als meine schulische Ausbildung, denn wenn ihr bereit seid, euch in Eigenregie neues Wissen (sei es durch YouTube oder durch Kurse) anzueignen, dann habt ihr bereits gewonnen. Was ich damit sagen möchte, ist, dass ihr keine bestimmte Ausbildung oder keinen bestimmten Abschluss / Titel braucht, um gut in etwas zu sein. Ein Studium ist nicht der einzige Schlüssel zu beruflichem Erfolg. Meiner Meinung nach ist das „Rezept“, wenn es wirklich eines braucht, ein ganz anderes: der richtige Mix aus Passion, Widerstandsfähigkeit, Entschlossenheit, Neugierde und Mut. Diese 5 Eigenschaften haben einen viel größeren Impact als ein Titel oder eine Ausbildung. In einer Welt, die sich ständig verändert und in der neue Möglichkeiten und Karrierewege entstehen, ist es wichtiger denn je, den Mut zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen (und dabei durchzuhalten). Ob mit oder ohne formale Ausbildung, der Schlüssel zum Erfolg liegt letztendlich in unserer Hingabe zur eigenen Leidenschaft, der Bereitschaft, Neues zu lernen, und der Entschlossenheit, Hindernisse zu überwinden.
Und doch geht es in vielen Gesprächen immer und immer wieder erst einmal darum, was und ob ich studiere. Ich finde Unis und den Umstand, dass wir in Österreich, wo ich lebe, bzw. in Europa allgemein, die Möglichkeit und den Zugang zu Bildung haben, wirklich großartig, die Entscheidung zum Studieren möchte ich auch überhaupt nicht schlechtreden. Nichtsdestotrotz wird‘s Zeit, dass wir den Glauben, dass Erfolg ausschließlich von einem Studium abhängt, ablegen. Oft höre ich auch die leidige Frage: „Wann suchst du dir einen richtigen Job?“ Ich habe einen richtigen Job, wie die anderen 438.299 Menschen[1], die ebenfalls selbstständig sind. Um einen „richtigen Job“ zu haben, muss man nämlich nicht studiert haben. Der richtige Job ist der, den ihr als richtig empfindet und für den ihr euch auf eurem persönlichen Weg entscheidet. Für mich war das die Selbstständigkeit und nicht das Studium. Für jemand anderen mag es ein Teilzeit-Angestelltenverhältnis oder ein Sidehustle-Business sein, für eine weitere Person sind es aus Sicherheitsbedürfnis vielleicht zuerst ein Studium und dann die Selbstständigkeit. Und für andere ist es das Angestelltenverhältnis, denn nicht jede:r liebt das „Auf-sich-allein-gestellt-Sein“ und die Rahmenbedingungen der Selbstständigkeit. Vielleicht dauert es, bis ihr Euch für euren Weg entscheidet – und das ist auch völlig okay. Der Lebensweg ist ein Trial-and-Error-Prozess.
Wichtig ist, dass ihr euch für Euch entscheidet und euren Weg nicht von dem Außen und der Meinung anderer abhängig macht, selbst wenn ihr euch dann vielleicht – mühsamerweise – rechtfertigen müsst. Das Starten selbst ist das Schwierigste, glaubt mir.
Wenn ihr leidenschaftlich seid und euren Passionen nachgehen wollt, dann legt los und lasst euch nicht von der gesellschaftlichen Erwartung, einen formalen Abschluss zu erlangen, aufhalten. Eure Entschlossenheit, euer Talent, euer Durchhaltevermögen und eure Neugier werden euch weiterbringen, als jeder Titel es könnte – solange ihr an euch glaubt, das ist gerade in der heutigen Zeit wichtiger denn je.
Quelle:
[1] lt. WKO, Stand Februar 2024: https://www.wko.at/statistik/jahrbuch/am-selbstaendige.pdf
Der Podcast für die Kreativbranche von creatives who by Iris Emberger
Bei „creatives who talk“ erwarten dich alle zwei Wochen spannende Themen rund um Businessaufbau und Mindset.
Wichtige Learnings, packende Interviews und echte Insights gibt es hier von deinem Host, Iris - Fotografin, Content Creator und Gründerin von „creatives who“ und inspirierenden Persönlichkeiten aus der Branche.
Hast du noch Fragen oder Anmerkungen zum Artikel, lass uns gerne einen Kommentar hier. Wir freuen uns auf den Austausch mit dir.